Studium ohne Abitur: Nicht-traditionelle Lehramtsstudierende in den Blick rücken
Dr. André Epp forscht an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe zu Bildungsbiographien von Lehramtsstudierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung auf dem sogenannten „dritten Bildungsweg“ erworben haben. „Von Lehrkräften ohne Abitur können sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Kolleginnen und Kollegen profitieren“, sagt der Erziehungswissenschaftler.

Lehrer werden ohne Abitur: An der PHKA wird zu Bildungsbiographien nicht-traditioneller Lehramtsstudierender geforscht. Foto: David Manherz/PHKA
Studieren ohne Abitur? Das war lange Zeit nicht möglich. Erst 2009 einigten sich die Bundesländer auf einen einheitlich geregelten Übergang von der beruflichen Bildung in die Hochschulen. Der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) öffnete die Hochschultüren auch für Menschen mit Berufsausbildung oder Fortbildungsabschlüssen. Laut aktuellen Berechnungen des CHE Centrum für Hochschulentwicklung nutzen seitdem immer mehr Menschen den sogenannten „dritten Bildungsweg“. Im Jahr 2019 waren bundesweit rund 64.000 Studierende ohne Hochschulzugangsberechtigung immatrikuliert, doppelt so viele wie 2011.
Auch ein Lehramtsstudium ist - unter bestimmten Bedingungen - ohne Abitur möglich. Doch wie sehen die Bildungsbiographien dieser Studierenden aus? Dazu forscht der Erziehungswissenschaftler Dr. André Epp an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (PHKA) gemeinsam mit Prof.in Dr.in Sabine Klomfaß von der Universität Trier. „Uns ist es wichtig zu zeigen, dass es diese Gruppe nicht-traditioneller Lehramtsstudierender gibt. Wir möchten ihnen durch unsere Forschung einen Raum geben“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Bildungswissenschaftliche Forschungsmethoden. Biographieforschung schaue darauf, wie Individuen und gesellschaftliche Rahmungen, etwa der KMK-Beschluss 2009, miteinander verwoben seien, wie Individuen Entscheidungen träfen und wie sich Bildungsprozesse vollziehen.
Auf neuen Wegen zum Lehrerberuf
Zusammen mit Prof.in Dr.in Sabine Klomfaß von der Universität Trier hat Dr. André Epp jetzt den Sammelband „Auf neuen Wegen zum Lehrerberuf“ herausgegeben. Vorgestellt werden unter anderem acht Bildungsbiographien nicht-traditioneller Lehramtsstudierender: Beispielsweise die einer jungen Frau, die auf Umwegen in die Fußstapfen ihrer Eltern trat, oder die eines „unterschätzten Hauptschülers“, der Dozent an einer Universität wurde. „Manche angehenden Lehrerinnen und Lehrer ohne Abitur, mit denen wir gesprochen haben, wurden während ihrer Schulzeit etikettiert und stigmatisiert und haben so das Interesse an Bildung verloren. Im Rahmen von Weiterqualifizierungen kamen sie jedoch in Kontakt mit Lehrkräften durch die sie motiviert und ermutigt wurden, weiter zu lernen und ein Lehramtsstudium aufzunehmen“, berichtet der Erziehungswissenschaftler.
Allen Menschen gute Bildung ermöglichen
„Ziel ist, die Bildungsgleichheit in den Schulen zu erhöhen und allen Menschen gute Bildung zu ermöglichen. Wenn wir Lehramtsstudierende und Lehrkräfte ohne Abitur durch Biographieforschung sichtbar machen, können wir dazu beitragen, dass andere ihrem Weg folgen. Dadurch fördern wir auch die Heterogenität der Lehrerschaft“, sagt der Wissenschaftler. Denn von Lehrkräften ohne Abitur, so Epp, könnten sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Kolleginnen und Kollegen profitieren. „Sie bringen Erfahrungen mit in die Schule, die traditionelle Lehramtsstudierende nicht haben. Sie sehen die Schülerinnen und Schüler mit anderen Augen“, unterstreicht der Erziehungswissenschaftler, zu dessen Forschungsschwerpunkten unter anderem die Biographie- und Professionsforschung zählt.
Ein angehender Lehrer ohne Abitur habe beispielsweise erfahren, wie im Lehrerzimmer negativ über das Äußere von Schülern und Schülerinnen gesprochen wurde. Daraufhin habe er den Kolleginnen und Kollegen von seinen Eltern erzählt, die auch kein Geld für teure Kleidung gehabt hätten. „Leider gibt es in Deutschland keinen institutionalisierten Mechanismus des Bildungsaufstiegs. Aber es wäre wünschenswert, wenn sich der Weg zum Studium weiter öffnen würde“, so Epp. Eines seiner nächsten Forschungsprojekte widmet sich der Frage, was aus den Lehramtsstudierenden ohne Abitur wird: Wer das Referendariat abschließt und wer danach tatsächlich als Lehrerin oder Lehrer arbeitet.
Weitere Informationen zum Thema Studieren ohne Abitur gibt es unter anderem auf www.kmk.org (Hochschulen, Studium) und auf www.hochschulkompass.de (Studium, Voraussetzungen).