Wirtschaft und Literatur interdisziplinär

Ökonomie und Literatur der Goethe-Zeit und der Weimarer Republik

Das Projekt

Goethe und die Ökonomie – das Thema ist nicht erst, aber besonders angesichts der seit 2007 anhaltenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise en vogue. Ein Blick auf die ältere, bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts reichende Goethe-Forschung zeigt jedoch, dass Goethe in Zusammenhang mit ökonomischen Fragestellungen schon immer – und das sogar in beiden deutschen Staaten – ein Thema war. Die Inanspruchnahme des Wirtschafts- und Finanzpolitikers Goethe durch so unterschiedliche Systeme wie das der Bundesrepublik und das der DDR rät jedoch zur Vorsicht gerade auch hinsichtlich neuester Interpretationen.

So wurde Goethe zuletzt sogar, und wird es seither regelmäßig u.a. auch durch Vorträge Sigrid Löfflers, mit Rekurs auf den von ihm hoch geachteten Justus Möser als (Wirtschafts-) Liberaler bezeichnet. Bei dieser Sicht der Dinge wird jedoch übersehen, dass der über Staat und Gesellschaft publizierende Verwaltungsleiter des Osnabrücker Fürstbistums, der vor allem durch politische Zustandsbeschreibungen in seinen „Patriotischen Phantasien“ in ganz Deutschland bekannt wurde, keinesfalls als „Liberaler“ charakterisiert werden kann.

Beate Laudenberg und Heike Knortz kommen durch die Berücksichtigung des wirtschaftshistorischen Kontextes deshalb auch zu anderen Ergebnissen. Einerseits orientiert sich das vorliegende Projekt an der Frage nach Goethes ökonomischem Wissen im Kontext seiner Zeit und seiner Tätigkeit, andererseits stellt das Geldwesen zu Lebzeiten Goethes im weitesten Sinne einen weiteren wichtigen Orientierungsstrang dar, bei dem wiederum von der üblichen Interpretation, nämlich dem Bezug der Papiergeldszene in „Faust II“ auf das Papiergeldexperiment John Laws in Frankreich zu Beginn bzw. die Entwertung der französischen Assignaten gegen Ende des 18. Jahrhunderts, abgewichen wird.

Das so skizzierte umfangreiche Thema wird also (nach wissenschaftlichen Standards) ökonomisch-kontextuell auf der Grundlage ausgewählter Szenen der „Faust“-Tragödie, aber auch anderer Goethe-Werke und Textstellen (mit wirtschaftlichem Bezug) sowie historischen Informationen zu Goethe selbst abgehandelt. Dabei wird nicht nur „Faust II“ unter ökonomischen Gesichtspunkten präsentiert, sondern zugleich um Margaretes Wirtschaft in „Faust I“ erweitert – ganz im Sinne der Ankündigung Mephistopheles, Faust erst durch die kleine, dann durch die große Welt zu führen. En passant stellt dadurch zugleich der Aspekt der „kleinen Wirtschaft“ ein durchgehendes Analysemuster dar, ebenso wie der der „Wahrung des eigenen Vorteils“, d.h. die Beschäftigung des „privaten“ Goethe mit Geld. Am Schluss werden nicht Geld und Magie, wird vielmehr die Entzauberung der Magie stehen, die sich manifestiert an der von Goethe selbst erlebten österreichischen Papiergeldinflation und deren Projektion im „Faust II“, wie sich überhaupt in den hier ausgewählten Szenen unterschiedlicher Werke der „rationale Goethe“ gegenüber literarischer Fiktion durchsetzt.

Aktuell soll das Projekt um die Analyse weiterer Literatur, die sich vorwiegend mit den ökonomischen Krisen der 1920er-Jahre beschäftigt, erweitert werden.

Publikationen

Knortz, Heike; Beate Laudenberg: Goethe, der Merkantilismus und die Inflation. Zum ökonomischen Wissen und Handeln Goethes und seiner Figuren. Berlin, 2013. Zur Rezension hierzu ...

Knortz, Heike; Beate Laudenberg: "Durchrauschen des Papiergeldes" und "Rauschen der Papiergeldpressen". Zur Darstellung der Inflation bei Goethe und Fallada. In: Hans Fallada und die Literatur(en) zur Finanzwelt. Hrsg. von Daniel Börner und Andrea Rudolph im Auftrag der Hans-Fallada-Gesellschaft e.V. Carwitz. S. 66-94. Berlin, 2016. (=Hans-Fallada-Jahrbuch, Bd. 7).

Knortz, Heike; Beate Laudenberg: "Am Golde hängt doch alles" — Margarete im sozio-ökonomischen Kontext. In: Roth, Denise; Jost Eickmeyer (Hrsg.): Gretchen - Mörderin, Verführte, Unschuldige? Goethes Margarete in interdisziplinärer Perspektive. Heidelberg, 2018. S. 41-64.

[Laudenberg, Beate] Die Weimarer Wirtschaft im Spiegel der Literatur der Neuen Sachlichkeit. In: Knortz, Heike: Deutsche Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Zeit. Eine Einführung in Ökonomie, Gesellschaft und Kultur der ersten deutschen Republik. Mit einem literaturwissenschaftlichen Kapitel von Beate Laudenberg. Göttingen, 2021.

Vorträge zum Thema

„Unsre Wirtschaft ist nur klein“. Goethes ökonomisches Wissen und dessen Projektion im „Faust“ (apl. Prof. Dr. Heike Knortz und PD Dr. Beate Laudenberg im Faust-Archiv in Knittlingen, November 2011).

Goethe und die Ökonomie. Der Dichter als Politiker und Analytiker wirtschaftlicher Phänomene (apl. Prof. Dr. Heike Knortz bei der Goethe-Gesellschaft Karlsruhe, 17. Oktober 2012).

Goethe und die Ökonomie. Der Dichter als Hauswirtschafter, Politiker und Analytiker wirtschaftlicher Phänomene (apl. Prof. Dr. Heike Knortz an der Wittheit zu Bremen, 12. November 2013).

„Durchrauschen des Papiergeldes“ und „Rauschen der Papiergeldpressen“: Zur Darstellung der Inflation bei Goethe und Fallada (apl. Prof. Dr. Heike Knortz und PD Dr. Beate Laudenberg im Rahmen der Internationalen Hans-Fallada-Konferenz „»Aber raus aus der Tasche muss das Geld – soviel ist sicher«. Hans Fallada und die Literatur(en) zur Finanzwelt“ in Carwitz, 15.-17. Juli 2014).

„Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“ — Zur sozioökonomischen Situation von Gretchen (apl. Prof. Dr. Heike Knortz und PD Dr. Beate Laudenberg im Rahmen der „Gretchen-Tage“ in Knittlingen, 5.-7. Juni 2015).

"Zehn, Dreißig, Funfzig, Hundert sind parat?" — Geld und Geldströme in Goethes Leben und Werk (apl. Prof. Dr. Heike Knortz und PD Dr. Beate Laudenberg auf Einladung der Deutschen Bundesbank, Hauptverwaltung in Hessen, 11.02.2016).

Projektleitung
Sprechstunden:
Di., 14:00 bis 15:00 Uhr nach Anmeldung über Stud.IP (hier via "Profil" + "Terminvergabe") oder in begründeten Fällen n.V. Die Sprechstunden finden in Präsenz in Raum 4.415 statt!
Letzte Änderung: 21.01.2022