Erziehungswissenschaft: Spiegeln Schulnamen die Geschichte der Pädagogik wider?

In Deutschland gibt es über 32.000 allgemeinbildende Schulen – und jede dieser Schulen trägt einen Namen. Doch bislang gibt es nur wenig Forschung zu Schulnamen im Kontext von Wissenschaftsgeschichte und Erinnerungskultur. Sebastian Engelmann und Katharina Weiand haben nun Schulnamen in großer Menge in ein Verhältnis zur Geschichte der Pädagogik gesetzt und damit am Beispiel des Bundeslandes Thüringen eine Forschungslücke geschlossen. Zentrales Ergebnis ist, dass dort knapp 20 Prozent der Schulnamen einen Bezug zur Geschichte der Pädagogik haben und diese wiederum insbesondere auf praktisch wirksame Pädagog:innen zurückgehen.

Schulnamen: Wissenschaftler:innen der PHKA haben sie in Beziehung gesetzt zur Geschichte der Pädagogik. Foto: Joel Frank/PHKA

Schulnamen: Wissenschaftler:innen der PHKA haben sie in Beziehung gesetzt zur Geschichte der Pädagogik. Foto: Joel Frank/PHKA

Spiegelt sich die Geschichte der Pädagogik in Schulnamen wider? Wenn ja, welche Geschichte wird abgebildet? Und erzählen die Schulnamen eine andere Geschichte als diejenige, die in der Erziehungswissenschaft zur Norm geworden ist? Diesen Fragen gehen Sebastian Engelmann und Katharina Weiand in ihrer jüngsten Veröffentlichung am Beispiel des Bundeslandes Thüringen nach. „Waldorf, Montessori und Pestalozzi-Hype? – Schulnamen im Spiegel der Geschichte der Pädagogik“ heißt der Beitrag, der im April in „Berichte zur Wissenschaftsgeschichte“ erschienen ist und eine Forschungslücke schließt.

„Wir konnten zeigen, dass Schulen insbesondere mit der Reformpädagogoik assoziierte Namen von praktisch wirksamen Pädagog:innen wie Pestalozzi, Fröbel, Montessori und Steiner tragen“, sagt Engelmann, Juniorprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (PHKA). „Auch in den Schul­namen werden die so genannten ‚Klassiker der Pädagogik‘ aufgerufen und dadurch nicht nur in der Erziehungswissenschaft, sondern auch im öffentlichen Raum prominent erinnert“, so Engelmann.

28 Schulnamen erinnern an Pestalozzi

In ihrem Beitrag haben Sebastian Engelmann und Katharina Weiand, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine und Historische Erziehungswissenschaft der PHKA, erstmals Schulnamen in großer Menge in ein Verhältnis zur Geschichte der Pädagogik gesetzt und herausgefunden, dass knapp die Hälfte der rund 40 Prozent der Schulen in Thüringen, die nach Personen oder nach Konzepten benannt sind, einen expliziten Bezug zur Pädagogik haben. Insgesamt 28 Schulnamen erinnern beispielsweise an den Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Besonders häufig seien darüber hinaus auch historische Personen des öffentlichen Lebens als Namenspaten anzutreffen, allein 26 von insgesamt 970 Schulen seien nach den Geschwistern Scholl benannt.

Warum Thüringen?

Thüringen haben Engelmann und Weiand zum einen ausgewählt, weil die Region für die Geschichte der Pädagogik von großer Relevanz ist, zum anderen, um in weiteren Arbeiten einen Ost-West-Vergleich zu ermöglichen, der auch darauf eingeht, welche Schulnamen nach der Wiedervereinigung verschwunden sind.

Schulnamen in Karlsruhe– Diversität oder Normalität?

Auch Schulnamen in Karlsruhe hat Engelmann in den Blick genommen, allerdings außerhalb des Zeitschriftenbeitrags und aus Interesse für den Standort seiner Hochschule. „Mit Fichte, Goethe, Humboldt, Kant, Lessing und Kepler finden sich hier zentrale Personen der Geistesgeschichte seit dem 16. Jahrhundert. Helmholtz, Planck, Hahn und Heisenberg verweisen zudem auf zentrale Größen der Naturwissenschaft“, so Engelmann. Die Pädagogen Pestalozzi und Comenius leihen nur wenigen Schulen ihren Namen. Und auch Frauen seien in Karlsruhe selten Namenspatin: Lediglich Anne Frank und Sophie Scholl, die Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz und Elisabeth Selbert als eine der ‚Mütter des Grundgesetzes‘seien vertreten.

„Auch die Karlsruher Schulnamen spiegeln eine eingeschränkte Vergangenheit wider und können nicht mal im Ansatz auf die in Gesellschaft schon immer vorhandene Vielfalt hinweisen, die aktuell wichtiger ist denn je“, so der Erziehungswissenschaftler. Ein genauer Blick auf die Namen von Institutionen, in denen Kinder und Jugendliche lernen, sei aber in jedem Fall nötig, denn Namen prägen die Öffentlichkeit. „Es ist noch ein langer Weg zu gehen, bis die gesellschaftliche Diversität auch im öffentlichen Raum und insbesondere in Bildungsinstitutionen repräsentiert ist“, sagt Engelmann.

Originalpublikation

Sebastian Engelmann und Katharina Weiand, „Waldorf, Montessori und Pestalozzi-Hype? – Schulnamen im Spiegel der Geschichte der Pädagogik“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 47 (2024), doi.org/10.1002/bewi.202300020

Pressemitteilung als pdf

  regina.thelen@ph-karlsruhe.de